Fasten Tammus
- Akiva Weingarten
- 17. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Mit dem Monat Tammus beginnt eine spirituell intensive und emotional aufgeladene Zeit im jüdischen Kalender. Während die säkulare Welt die Wärme des Sommers genießt, lenkt die jüdische Tradition unsere Aufmerksamkeit auf eine andere Art von Hitze–die brennende Erinnerung an Zerstörung, Entwurzelung und den langen Weg der Rückkehr. Tammus läutet die „Drei Wochen“oder Bein HaMetzarim ein, eine Zeit, die von zwei Fastentagen gerahmt wird: dem 17. Tammus (dieses Jahr am 13.7.) und Tisha B’Av (dieses Jahr am 3.8.). Es ist eine Zeit, die traditionell mit Trauerbräuchen, Selbstreflexion und gemeinschaftlicher Besinnung begangen wird.
Der 17. Tammus erinnert an fünf tragische Ereignisse (Bavli Taanit 26a): das Zerbrechen der ersten Tafeln durch Moses, die Einstellung der täglichen Tempelopfer, die Durchbrechung der Mauern Jerusalems durch die Römer, die Verbrennung einer Thora-Rolle durch einen griechischen Herrscher (einigen bekannt unter dem Namen Apostemus) und die Aufstellung eines Götzenbildes im Heiligtum. Diese Ereignisse sind nicht nur historische Notizen, sondern spirituelle Meilensteine–Momente, in denen heilige Grenzen verletzt und das Gewebe der Heiligkeit zerrissen wurden.
Das Zerbrechen der Tafeln zum Beispiel war ein Akt der Zerstörung–aber auch des Erwachens. Als Moses sah, wie das Volk das Goldene Kalb anbetete, zerschlug er die Tafeln, die er gerade erhalten hatte (#Exodus 32:19). Nach dem Midrasch (Shemot Rabbah 43:1) bestätigte Gott später Moses’ Entscheidung mit den Worten: „Yasher koach sheshibarta–Gut getan, dass du sie zerbrochen hast.“
Dieser Moment spiegelt eine tiefere spirituelle Wahrheit wider: Manchmal ist Zerstörung der Auftakt zu einer Verwandlung. Die chassidischen Meister sahen das Zerbrechen nicht als Versagen, sondern als Weg zur Erneuerung. Die ersten Tafeln wurden inmitten von Feuer und Donner übergeben, die zweiten in einem ruhigen Gespräch (Exodus 34). Der Rebbe von Kotzk lehrte, dass „nichts Ganzeres gibt als ein gebrochenes Herz“.
Es gibt eine Geschichte über den Rebbe von Kotzk, der für sein scharfes und kompromissloses Streben nach der Wahrheit bekannt war. Einer seiner Schüler fragte ihn einmal: „Wo ist Gott?“Der Rebbe antwortete: „Dort, wo du ihn hereinlässt.“
Während der drei Wochen, in denen wir um den Verlust des Tempels trauern–des Hauses, in dem Gott „unter uns wohnte“–, hallen die Worte des Kotzker Rebben kraftvoll nach. Im chassidischen Denken ist die Zerstörung des Tempels nicht nur ein architektonischer Verlust, sondern ein inneres Exil. Gott ist in den Rissen unserer Beziehungen, unseren Zweifeln und sogar unseren Ritualen verborgen. „Gott hereinlassen“bedeutet, mit der Reparatur des Zerbrochenen zu beginnen, einen Zufluchtsort im Herzen zu schaffen.
In einem liberalen jüdischen Rahmen sind die drei Wochen eine Einladung, über die historische Trauer hinaus auf ethische und gemeinschaftliche Verantwortung zu blicken. Was sind die „Mauern“, die wir um uns herum errichten–Mauern der Gleichgültigkeit, der Ausgrenzung oder der Angst? Wer steht vor den Toren unserer Empathie?
So wie die alte Stadt durchbrochen wurde, sind wir aufgefordert, unsere eigenen Grenzen zu überprüfen. Schützen sie uns oder isolieren sie uns? Schützen sie das Heilige oder halten sie es fern?
Wir fasten vielleicht nicht auf traditionelle Weise oder verzichten auf Musik und Feierlichkeiten–aber wir können uns dafür entscheiden, diese Zeit mit tieferem Zuhören, mit Solidarität gegenüber den Schwachen und mit einem Engagement für Gerechtigkeit zu verbringen. Mit den Worten Jesajas, die am Tisha B’Av gelesen werden: „Lernt Gutes zu tun, sucht Gerechtigkeit, helft den Unterdrückten …“(Jesaja 1,17).
Auch wenn diese Zeit traurig beginnt, trägt sie doch den Keim der Hoffnung in sich. Der Prophet Sacharja sah eine Zukunft, in der die Fastenzeiten von Tammus und Av zu Tagen der Freude und Fröhlichkeit werden würden (Sacharja 8,19). Die Tradition wagt es, sich vorzustellen, dass selbst die dunkelsten Kapitel neu geschrieben werden können–durch Erinnerung, durch Teschuwa, durch Liebe.
Der Baal Shem Tov lehrte, dass das Erinnern an sich schon ein heiliger Akt ist. Nicht um in Trauer zu verharren, sondern um sie in eine Weiterentwicklung zu verwandeln. In den drei Wochen geht es nicht um Verzweiflung, sondern darum, einen Sinn im Schmerz zu finden und die Risse zu Kanälen für neues Licht werden zu lassen.
Möge dieser Monat Tammus uns einen Weg der Klarheit und des Mitgefühls eröffnen. Mögen unsere Mauern auf die beste Weise durchbrochen werden–damit wir einander und die göttliche Gegenwart, die still auf der anderen Seite wartet, hereinlassen können.
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