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AutorenbildKai Lautenschläger

Die Innereien unserer Gemeinde

Im Vorfeld der kommenden Mitgliederversammlung und damit wir alle uns besser die Abläufe, Notwendigkeiten und Chancen in unserer Jüdischen Kultusgemeinde verstehen können, möchte ich die Innereien unserer Gemeinde hier beleuchten. Das eigentliche Gemeindeleben besteht aus Dir und mir, aus den Menschen, ihren Vorlieben, Interessen und Fähigkeiten. Es besteht auch aus denen, die zu Gast sind, genauso wie aus denen, die hier ihre Heimat gefunden haben. Wir alle bringen uns auf den verschiedensten Ebenen ein und profitieren von unterschiedlichen Angeboten. Die Gesamtheit aller Mitglieder könnten wir als Seele der Gemeinde verstehen, die alles spürt und fühlt, was uns bewegt und den Körper erst lebendig macht. Heute möchte ich aber auf die teils verborgenen Dinge im Hintergrund eingehen - quasi auf die Innereien der Gemeinde.


Unsere Vielfalt, Toleranz und Demokratie sollen sich auch in unserer Gemeinschaft widerspiegeln. Damit alle gemeinsam die Möglichkeit haben, unsere Geschicke mitzugestalten gibt es in unserer Gemeinde ein höchstes Organ, in dem alles besprochen und entschieden werden kann. Alle - Vorstand, Rabbiner, Beirat, Mitglieder etc.) müssen sich an die Entscheidungen dieser Gruppe halten. Sie besteht aus allen Gemeindemitgliedern und heißt Vollversammlung. Die Vollversammlung ist gewissermaßen das Gehirn der Gemeinde. Sie entscheidet und läßt dabei Vernunft, Realität, Wünsche, Gefühle, die Gemeinschaft und die einzelnen Mitglieder in ihre Beschlüsse einfließen. Das alles passiert während des Jahres durch Diskussionen und Teilnahme an Veranstaltungen aber vor allem bei der jährlichen Vollversammlung aller Mitglieder.


Leider ist diese Vollversammlung nicht jederzeit beschlussbereit oder kann sich auch nicht kurzfristig für jede anstehende Entscheidung treffen. Während des Jahres müssen viele kleine Aufgaben, Entscheidungen und Arbeiten geleistet werden, die eine so große Gruppe nur viel zu langsam und mühsam - wenn überhaupt - erledigen könnte. Wir würden uns quasi selber lähmen. Deswegen wählt die Vollversammlung eine kleine Gruppe - den Vorstand. Das sind mindestens drei von uns, die sich bereit erklären über das Jahr den Willen der Vollversammlung umzusetzen. Der Vorstand darf kleinere Entscheidungen auch fällen, ohne die Vollversammlung zu fragen. Welche das sind, wo die Grenzen der Freiheit des Vorstands sind und ob bestimmt Dinge auch innerhalb des Vorstands auf einzelne verteilt werden dürfen ist natürlich sehr kompliziert.


Deswegen gibt es dafür eine Satzung, in der genau beschrieben ist, wer welche Aufgaben hat und für was verantwortlich ist. Das gilt für Finanzen, Beschlüsse, Vertretung aber auch für weniger formale Dinge, wie Veranstaltungen, Initiativen, Kooperationen mit anderen Gemeinden und Vereinen. Man könnte sagen, dass der Vorstand das Herz der Gemeinde ist, das unaufhörlich arbeitet und das gute Weiterleben garantiert. Zum Beispiel muss der Vorstand über Aufnahmeanträge in die Gemeinde entscheiden. Solche Aufnahmen sind aber auch mit halachischen (religionsgesetzlichen) Entscheidungen - und Wissen darüber - verknüpft.


Damit hierbei möglichst kein Unfrieden entsteht und die Halacha eingehalten wird, ruft der Vorstand bei solchen Fragen den Rabbi hinzu und bittet ihn darum, die halachischen Fragen zu beantworten. So, wie in diesem Beispiel arbeiten der Rabbi und der Vorstand in vielen Fragen zusammen und sind in der tagtäglichen Arbeit für die Gemeinde im besten Falle ein verlässliches Team. Der Rabbi kann darüberhinaus jederzeit auch seine Überlegungen einbringen (sowohl beim Vorstand als auch bei der Vollversammlung). Unsere Gemeinde ist stolz auf ihren Rabbi und so ist er wie die Lunge der Gemeinde, die den freien Atem gibt. Deshalb wird der Rabbi auch von der Vollversammlung gewählt und seine Entscheidungen sollten von allen akzeptiert werden. Das ist auch der Grund, warum kluge Rabbiner ganz allgemein nur selten mit lautem Getöse Entscheidungen fällen ;-)


Manchmal benötigt unsere Gemeinde auch Erfahrungen, um gute Wege zu finden, kluge Entscheidungen zu fällen oder das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Kein Mensch sollte von sich behaupten, immer nur gut, klug oder weise zu sein. Aber mehr Augen sehen mehr und manche Dinge sind mit der Erfahrung durch Lebensjahren oder Ausbildungen etwas ruhiger zu beurteilen. Dieses Phänomen macht sich der Vorstand zu nutzen, in dem er Menschen in den Beirat der Gemeinde beruft. Die Mitglieder des Beirats haben selbst keine Entscheidungsmacht und müssen deshalb auch nicht formal Mitglieder der Gemeinde sein. Sie decken mit ihren Erfahrungen diejenigen Bereiche ab, bei denen sich der Vorstand Beratung und Unterstützung wünscht und sie helfen durch ihr Netzwerk und ihre Vertrauenswürdigkeit. Gewissermaßen ist der Beirat eine Art Hausarzt, der die Gemeinde liebevoll begleitet und berät, ohne von außen zu bestimmen, wo es lang geht.


Zusätzlich zu diesen "Zentralorganen" gibt es noch viele Innereien, die die Gemeinde erst zu dem Ort der Freude und des Lebens machen, den wir uns wünschen. Dazu gehört der Synagogenchor und andere musikalischen Kooperationen und Angeboten genauso, wie Sprachkurse, wenn sie gebraucht werden. Auch andere künstlerische Angebote bringen Leben in die Gemeinschaft. Gute jüdische Küche tut allen Organen in unserem gemeinsamen Körper gut und das Singen, Beten und gemeinsame Feiern fügt alles zusammen. Wir könnten unsere Traditionen und Bräuche also als die Haut bezeichnen, die alles zusammenhält, uns sichtbar macht und uns auch vor Gefahren schützt. Erst durch sie sind wir ein zusammenhängender Körper.


In den vergangenen Jahren seit unserer Gründung haben wir außerdem auf viele verschiedene Weisen bewiesen, dass "ein Körper sein" nicht heißen muss, seine Individualität aufzugeben. Vielmehr ist es bei uns so, dass jedes Anders-Sein ein neuer Edelstein in der Krone ist und jedes Weggehen und Wiederkommen Leben in unserer Gemeinde bedeutet. Was in viel zu vielen Gruppierungen als Bedrohung empfunden wird - das unterschiedlich und individuell sein - ist unsere Kraftquelle, die uns mit einem stetigen Strom an Ideen, Eigenschaften, Möglichkeiten, Lehren und Verbindungen bereichert.


Auch deshalb lohnt es sich für mich, mich in unserer Gemeinde zu engagieren, langweilige Treffen zu überstehen und scheinbar formale Diskussionen über Paragrafen auszuhalten. Ich hoffe sehr, viele von unseren Mitgliedern auf der nächsten Vollversammlung zu sehen.

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