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Ein Wort zum Gedenken

Still war die Nacht, kalt die Herzen, zerstört von einem Frost, den jeder Mensch mit ihrer Geschichte hätte fühlen müssen. Eine junge Frau schaut hoch in einen sternenklaren Himmel, weit weg von zuhause, weit weg von ihren Eltern, ihrer Kindheit, die sie hatte zurücklassen müssen. Vergebens hatte sie gehofft, dem Terror der einmarschierenden Deutschen entkommen zu können, wie so viele andere. Doch er ließ sie nicht los, verfolgte sie hartnäckig bis in die letzte Ecke. Sie überlebte. Später, ausgewandert nach Israel, wollte sie als Psychologin Wunden des Krieges und Mordens heilen. Wunden, die sie selber erst viel später verarbeitete. Wie vielleicht die aus dieser einen Nacht.


Foto von Wachanlagen eines KZ aus den 1940ern

Es war im Sommer 1942. Was in dieser Nacht genau passierte weiß wahrscheinlich kein Mensch mehr genau, sind doch wenige Bücher über oder von ihr geschrieben worden. Aber Vitka war dort. Als ein Blitz aufleuchtete und ein Zug entgleiste. Sie hatte die Granate geworfen. Es war der erste Anschlag einer Gruppe jüdischer Menschen, die sich nicht kampflos ergeben, sondern eine Antwort des bewaffneten Widerstands gegen Mord und Vernichtung geben wollten. Wie unzählige andere.


Am 27. Januar 1945 wurde nach christlicher Zeitrechnung Auschwitz befreit. Seitdem wird jährlich den Opfern einer Zeit des Mordens gedacht, die wahlweise Shoah, Holocaust, Porajmos und wahrscheinlich noch unter anderen Namen bekannt ist. Unsere Trauer braucht Raum, unser immenser Verlust und unser Mitgefühl mit denen, die Gleiches erlebten die Möglichkeit, wahrgenommen, ausgedrückt und nicht versteckt zu werden. Aber an diesem wie vielen anderen Tagen schwingt etwas Bevormundendes, geradezu Gönnerhaftes mit.

Wer als jüdischer Mensch in eine nicht-jüdische deutsche Schule ging kennt sie alle, die Zahlen, die Gesetze, die Daten wann welche Inhaftierten aus welchen Lagern, gleich wie sie hießen oder was sie waren, befreit wurden. Befreit ... als wäre unsere Rolle in der Welt, zumindest bis zur Gründung Israels, eine rein passive, die, wenn sie nicht gerade lustige Lieder in kleinen, urigen Shtetln sang, Pogrom nach Pogrom einfach über sich erduldete und jetzt endlich von guten Menschen erlöst wurden. Und es stimmt, es waren aller Voraussicht nach zu wenige, um sich dem deutschen und verbündeten Morden wirklich entgegensetzen zu können. Aber das heißt doch längst nicht, dass nichts versucht wurde.

Da waren die Aufstände in Auschwitz, Sobibór und Treblinka. In Warschau, Białystok und Vilna. Da waren die unzähligen Widerstandsgruppen von den Wäldern in Frankreich bis Russland, die Menschen, die in allen Armeen der Alliierten kämpften. Selbst in Deutschland war die jüdische Geschichte keineswegs blos passiv.


Der Raum, den mir dieser Text gibt, ist zu klein, um die Geschichte des jüdischen Kampfes gegen Ausrottung zu beschreiben, zieht sich dieser Kampf doch von Anbeginn unserer Geschichte bis heute durch. Aber ich will meinen Beitrag leisten. Denn es ist einer, den wir dennoch nie vergessen und nie zulassen dürfen, dass er in der Geschichte unserer Gemeinschaft verschwindet. Uns zuliebe, als Säule der Zuversicht, der Hoffnung und Lebensfreude. Und den Mordenden als Mahnung, dass wir uns niemals ergeben haben und auch nicht werden.


Die Aufstände in den Vernichtungslagern mögen nicht immer zur Flucht geholfen haben. Aber sie flösten den Wachen und der SS genug Respekt vor den vermeintlich passiven Opfern ein, als dass ihre Taten nicht unbeantwortet bleiben würden. Eine Antwort, die auch Vitka gab als sie 1945 nach langen Kämpfen als Befreierin nach Vilna kam. Wie auch Rozka, Chaika, Hanah, Isabella und tausende andere.

Mögen auch ihre Namen uns ein Segen sein.

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