In Dresden wird seit letztem Spätsommer über eine neue jüdische Einrichtung diskutiert. Aber die Geschichte fängt eigentlich schon viel früher an. Bereits vor vielen Jahren entstand in der Gemeinde am Hasenberg die Idee, ein jüdisches Museum in Dresden zu gründen. Wie so oft mit ehrgeizigen Projekten konnten zunächst nur mündliche Bekenntnisse des Wohlwollens aus Stadt und Politik generiert werden, aber ein erster Schritt war getan. Ein zweiter Anlauf, das Thema aufs städtische Parkett zu heben, führte schließlich zu einem Stadtratsbeschluss, der den Oberbürgermeister auffordert, sich um die Einrichtung eines solchen Museums zu bemühen. Oberbürgermeister und Stadtverwaltung gingen ins Gespräch mit möglichen Beteiligten und eröffneten dann eine immer öffentlicher werdende Diskussion über das Projekt "Jüdisches Museum in Dresden". Diese Diskussion hat erfreulich viele Menschen aus Stadt (und Land) sowohl aus den jüdischen Gemeinden, als auch aus der nicht-jüdischen Stadtgesellschaft erreicht.
Innerhalb der Diskussionen (Podiumsdiskussionen, Workshops, Besprechungen, Reden, Bürgersprechstunden etc.) kamen einige neue Aspekte immer wieder zum Vorschein. Zwei davon seien hier besonders herausgestellt:
Es wurde klar, wie viel Engagement im Bereich jüdischer Kultur und Religion es in Dresden bereits gibt und mit wieviel Wissen, Hingabe und Erfahrung viele Ehrenamtliche wirken. Gleichzeitig kam vonseiten dieser Gruppierungen und Vereine auch die Beobachtung, dass die Förderung viel einfacher und an den Bedürfnissen orientiert sein müsse. Hier gehe sehr viel Energie der Beteiligten verloren.
Immer wieder bewegten sich die Wortbeiträge hin zum lebendigen, heutigen Judentum in der Stadt. Eine ausschließliche Rückwärtsgewandtheit wurde immer wieder abgelehnt und an deren Stelle ein erlebbares und lebensbejahendes Judentum gewünscht. Das wäre, so viele Diskutanten, eine wirklich moderne Einstellung der Stadt.
Die Diskussion zum jüdischen Museum geht weiter und kann wegen dessen finanziellen Umfangs weder auf die Stadtgesellschaft beschränkt bleiben noch sehr rasche Ergebnisse zeitigen. Der Oberbürgermeister und die Stadtverwaltung haben also zusätzlich den immer wieder geäußerten Wunsch nach einem Jüdischen Kultur- und Begegnungszentrum in Dresden aufgegriffen und das Kulturamt wurde beauftragt dazu eine erste Aufnahme durchzuführen. So kam es zu Besprechungen mit einigen derjenigen, die diesen Wunsch vertreten hatten und dann wurden die Gemeinden und die meisten Vereine mit jüdischer Thematik zu einem Workshop in drei Teilen eingeladen. Ziel des Workshops war es, auszuloten, welche Wünsche ganz konkret bestehen, inwieweit die bereits vorhandene ehrenamtliche Expertise in der Stadt genutzt werden kann und wie ein jüdischen Kultur- und Begegnungszentrum gestaltet werden könnte. Nach anfänglicher Überwindung, die Themen Museum und Begegnungszentrum getrennt von einander zu betrachten - zumindest für die Zeit der Entwicklung erster Visionen, ist das vielfältige Ergebnis des Workshops zwar für das Kultusamt nicht einfach zu verarbeiten, aber für die Sache von hohem Wert.
Soweit zur Darstellung der Dinge, die bislang geschahen. Im Folgenden möchte ich einige Ideen und Vorschläge für die weitere Diskussion Machen oder aufgreifen (wenn sie anderswo schon unterbreitet wurden).
Obwohl ich auch Gemeindemitglied bin, war ich zum Workshop als Vertreter des Gefilte Fest Dresden e.V. eingeladen, der sich der Kulturvermittlung und Völkerfreundschaft mit den Mitteln des gemeinsamen Kochens und des Austauschs von sinnlich erlebbaren Bräuchen widmet. Aus Sicht vieler Vereine ist ein Kultur- und Begegnungszentrum die Chance auf eine wirkliche Veränderung in der (realistischen) Wahrnehmung von Judentum in der Stadtgesellschaft. Außerdem versprechen sich die meisten Vereine oder Interessengruppen die Option, ihre ehrenamtliche Energie wesentlich mehr in die eigentlichen kulturellen und sozialen Tätigkeiten zu investieren, als dies jetzt der Fall ist.
Ich möchte auf drei Aspekte hinweisen, mit denen die Gründung eines jüdischen Kultur- und Begegnungszentrums eine große Bereicherung des jüdischen Lebens in Dresden darstellt. Andererseits wird auch das Verständnis für das Judentum durch nicht-jüdische Dresdnerinnen und Dresdnern erleichtert und gefördert - ein Prozess der in langen Zeiträumen begriffen werden muss und vermutlich nie ein Ende haben wird. Die drei Aspekte nenne ich »Demokratische Offenheit«, »Gesamtstädtisches Engagement« und »Würdigung des Ehrenamtes«.
Demokratische Offenheit
Ein Begegnungszentrum ist kein Staat, aber gewissermaßen kann (und sollte?) es ein Abbild davon sein. Wenn wir - also die Stadt Dresden - uns auf das Abenteuer einlassen ein Zentrum zu schaffen, indem jüdisches Leben statt finden und auch geteilt werden kann, dann muss dieses Zentrum etwas ermöglichen:
Es sollte offen für alle Denominationen [Ausprägungen] des Judentums sein und keine Dogmen diesbezüglich vorgeben. Von unreligiös, über kulturell oder aus Gewohnheit ultraorthodox bis zu streng religiös liberal muss Platz und Respekt für alle Ausprägungen sein. Denn nur so kann das ganze Judentum in Dresden abgebildet und dessen Vielfalt gefeiert werden.
Um dieses Ziele zu erreichen ist es sehr wichtig, dass das Zentrum keine religiöse Einrichtung wird und auch nicht von den verschiedenen jüdischen Gemeinden der Stadt dominiert wird - oder einer davon. Die Gemeinden sollten maximal den gleichen Status im Zentrum erhalten, wie jeder Verein oder andere Gruppierung mit jüdischen Themen. Das kann sicherstellen, dass es nicht um eine Vermittlung religiöser Inhalte, sondern viel mehr um die Begegnung mit jüdischem Leben in seiner ganzen Breite gehen wird. Auf keinen Fall darf eine der Gemeinden eine Leitungsfunktion im Zentrum bekleiden.
Dem gleich Ziel und auch der Akzeptanz innerhalb der jüdischen Akteurinnen und Akteure dient ein aus meiner Sicht zwingend notwendiger, vollständig neutraler Träger. Dieser muss sichtbar, nachvollziehbar und glaubwürdig alle teilnehmenden Organisationen gleichwertig behandeln. Seine einzige Aufgabe soll die Organisation und Führung der Infrastruktur sein. Es gibt in Dresden einige Optionen, wer diese Aufgabe übernehmen könnte, aber diejenigen, die sicher keine vorgefertigte Meinung haben, sind dem Projekt noch sehr fremd und die die in der Sache bereits tief drinstecken, sind nicht mehr für alle Aktiven als neutral wahrzunehmen. Deshalb wäre ein bestehender Verein als Träger meines Erachtens nur eine zweitbeste Lösung. Besser - und viel schwieriger - wäre ein eigens gegründeter Verein oder Verband für diesen Zweck. Die Tatsache, das die verbindende und versöhnende Arbeit in solch einer Organisation sicher keine einfache Aufgabe werden, sollte uns nicht sofort zur zweitbesten Lösung greifen lassen.
Gesamtstädtisches Engagement
Für den zweiten Aspekt ist es aus meiner Sicht zentral, dass das folgende Ziel verfolgt wird. Es mag in der heutigen Zeit manchen eine Selbstverständlichkeit sein, aber in Angelegenheit von Glauben, Lebensgewohnheiten, Überzeugungen und Religion ist es dies nicht notwendigerweise für alle. Nämlich:
Es muss offen für alle Menschen sein - unabhängig von Glaube, Nation, Religion, Geschlecht und dergleichen. Das bezieht sich selbstverständlich auf die Gäste, sollte aber vor den Aktiven nicht halt machen. (Die Kochworkshops mit der besten Wirkung auf das Verständnis des Judentums hat unser Verein zum Beispiel mit einer Trias von Köchen - eine Jüdin, ein Muslim und ein Christ - veranstaltet.)
Für dieses Ziel ist ein finanzielles Engagement der Stadt nicht nur für die Gründung sondern auch für den Betrieb des Zentrums ein wichtiges Zeichen. Denn wenn gewissermaßen die „ganze Stadt“ bezahlt, ist es für alle viel leichter erkenntlich, dass auch die „ganze Stadt“ potentiell profitieren soll. Dafür ist auch sehr hilfreich, wenn nicht nur Jüdinnen und Juden sich zur Stadt Dresden als ihrem Wohnort, sondern auch die Stadt sich zu den Jüdinnen und Juden in ihr bekennt. Ein gegenseitiges Anerkennen kann die Basis für die Entwicklung einer gemeinsamen und fruchtbringenden Zukunft sein. Wir alle wünschen uns die schnelle Heilung von Wunden aus der Vergangenheit, selbst wenn wir wissen, dass manche Wunden kaum jemals und nur mit schlimmen Narben heilen können. In der Wirklichkeit sind die Schritte auf diesem Weg, klein, schwierig und von großer Zahl. Das sollte uns nicht entmutigen in die Richtung der Gemeinsamkeit weiter zu gehen
Würdigung des Ehrenamtes
Ein Kultur- und Begegnungszentrum könnte den Spagat zwischen der Stärkung des Vorhandenen einerseits und andererseits substantiellen Neuerungen und Veränderungen darstellen. Dazu müsste die vorhandene Expertise der Ehrenamtlichen in der Stadt nicht nur anerkannt sondern als Grundlage genutzt werden für die Errichtung des Zentrums. Gleichzeitig ist es von zentraler Bedeutung, dass die Tätigkeit der Ehrenamtlichen in ihren Vereinen und Gruppierungen nicht gegängelt oder von außen ausgerichtet wird.
Vielmehr sollte die Gelegenheit gegeben werden, organisch in das neue Zentrum zu wachsen und es dadurch von innen heraus mitzugestalten. Ein solches Vorgehen würde auch die Verbundenheit der Akteurinnen und Akteure mit der Einrichtung stärken. Im besten Falle würde die sich daraus ergebende Stimmung von Offenheit und gegenseitigen Respekt sowie Selbstwirksamkeit auch den Gästen und Besuchern spürbar werden.
Zu Erreichung dieses Ziels erscheint es mir sehr hilfreich, von Seiten eines Begegnungszentrums als Infrastruktur, diejenigen Dinge zur Verfügung zu stellen, mit denen ehrenamtliche oft in ihrer Tätigkeit kämpfen. Dies sind einerseits technische Lösungen und Raum sowie juristische Fragen, buchhalterische Notwendigkeiten und Verwalten von Förderungen. Andererseits sind auch Veranstaltungsräumlichkeiten, Möglichkeiten für Kochkurse, Seminare und Workshops sowie Hilfe bei der Pressearbeit und den Werbemitteln jeweils Methoden, die die Arbeit von Ehrenamtlichen massiv erleichtern können und deren Energie mehr in die inhaltliche Arbeit richten könnten.
Zum Abschluss
Es gibt viel mehr weitere Aspekte die bereits diskutiert wurden oder die der Diskussion würdig sind. Dennoch möchte ich an dieser Stelle einen Punkt setzen und würde mich über Rückmeldungen freuen. Jede und jeder ist in dieser Diskussion aufgerufen, zuzuhören, sich eine Meinung zu bilden und diese auch zu teilen. Wir sollten uns an Argumenten entlang zu einer guten Lösung orientieren. Die Debatte und das derzeitige Interesse der Stadt sind große Chancen für eine Veränderung, die auf lange Zeit das jüdische Leben in Dresden fördern und stabilisieren kann. Allerdings gehört zum Gelingen dieser Chance auch viel Klugheit, Kooperation und Verständigung. Aus diesem Grunde bin ich sehr dankbar, dass die Stadt sich für die Diskussion zu diesem Thema Zeit und Kraft nimmt und Verwaltung Bürgerinnen und Politik zusammenbringt. Ich freue mich auf weitere Gespräche aber auch darauf, ein jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum möglichst bald ganz real entstehen zu sehen.
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