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AutorenbildKai Lautenschläger

Was soll das heißen, Diskurs?

Der Begriff Diskurs wird heute häufig benutzt und oft zusätzlich mit dem Adjektiv "öffentlich" garniert. Was soll das eigentlich genau sein, Diskurs? Und warum brauchen wir das?


Sprachlich stammt das Wort Diskurs aus dem Lateinischen und kann mit "herumlaufen" übersetzt werden. In den Geisteswissenschaften ist der Diskurs eine definierte Methode, um Themen abzuhandeln. Umgangssprachlich wird das Wort häufig mit Diskussion gleichgesetzt. Aber während Diskussion eher das einzelne Gespräch bezeichnet, scheint mir Diskurs eine längerfristige Auseinandersetzung zu sein, bei denen die Gegenüber nicht immer bekannt sind.


Nachdem wir das Wort definiert haben folgt die frage, wie Diskurs geht. Was genau bedeutet Diskurs im täglichen oder im öffentlichen Zusammenleben? Gibt es verschiedene Methoden für Diskurs? Sind einige davon besser, als andere?.


Diskurs kann unter Betroffenen geführt werden, hinter verschlossenen Türen, unter Fachleuten, so wie in der interessierten oder gar der breiten Öffentlichkeit. Diskurse werden im direkten Gespräch über Film und Fernsehen, Presse, Artikel und Büchern, Demonstrationen und auch durch politische Wahlen und Lobbyismus geführt. Selbstverständlich gibt es auch Methoden, die sich nicht auf dem Boden des Gesetzes befinden, aber die wollen wir hier auslassen.


Die Vielfalt von Möglichkeiten, einen Diskurs zu führen, ist also überwältigend. Es ist dabei aber wichtig zu wissen, dass man nicht alle Methoden beherrschen muss und auch nicht allen gleichermaßen zugeneigt sein kann. Jede hat ihre Vorlieben und jeder seine Talente, so dass die meisten von uns sich ganz automatisch auf ein paar ausgewählte Methoden zum Diskurs beschränken. Während eine sich im persönlichen Kontakt wohl fühlt, findet ein anderer sich in der passiven Rolle des Medienkonsumenten eher wieder. Manche Menschen halten es für wichtig, ihre Meinungen zu bestimmten Themen zu jeder Gelegenheit zu äußern, während andere sich eher auf die Begebenheiten konzentrieren, an denen die Voraussetzungen für sie günstig zu sein scheinen.


Ich habe oft gehört, dass die Art und Weise des Diskurses abschätzig oder entwertend kommentiert wird. Das ist für die Sache so gut wie nie hilfreich, ist aber eine von den vielen Methoden das Gegenüber zum Gegner zu machen, und im gleichen Atemzug mundtot. Ein Beispiel sind sogenannte Hinterzimmer-Gespräche. Menschen, die diese Methode der Diskursführung gut beherrschen und bevorzugen, werden oft als undemokratisch oder intransparent diffamiert. Im Gegenteil widerfährt denen, die den öffentlichen Schlagabtausch suchen, sich nicht scheuen, auch unangenehme Wahrheiten laut zu äußern, häufig der Vorwurf, "dreckige Wäsche auf dem Marktplatz" waschen oder Nestbeschmutzter zu sein. Beides kann natürlich möglich sein, ist aber bei näherer Betrachtung meistens nicht wahr - und der Vorwurf auch nie hilfreich.


Vielmehr ist es so, dass die Gesellschaft beide Methoden braucht denn das eine Problem lässt sich besser auf die eine und das andere besser auf eine andere Weise einer Lösung näher bringen. Darüber hinaus profitieren viele Themen oder Probleme davon durch mehrere Kanäle und Methoden diskutiert zu werden, um möglichst viele Ansäte im Diskurs laut werden zu lassen. Gehen wir doch einige Methoden der Auseinandersetzung durch:


Das persönliche Gespräch

Der Vorteil des direkten Gesprächs liegt offensichtlich im persönlichen Kontakt und in der ganzen Fülle der nonverbalen Kommunikation, die uns dabei zur Verfügung steht. Außerdem sind emotionale Inhalte besser zu vermitteln und alle Beteiligten haben viel mehr Möglichkeiten, die Gesamtsituation zu erfassen. Der Nachteil ist, dass bei komplexen Themen sich in einem solchen Setting häufig der Gesamtzusammenhang verflüchtigt. Oft verlieren einzelne Teilnehmer des Diskurs im persönlichen Gespräch den Überblick. (Frag mich nicht, woher ich das weiß...) Das kann zwar im Sinne einer assoziativen Diskussionsführung auch ein Vorteil sein, ist aber häufig schwierig. Außerdem setzt das persönliche Gespräch das höchste Maß an Wissen und Reflexionsfähigkeit bei Beteiligten voraus. Auch unausgesprochene destruktive Vorstellungen, Gedanken oder Haltungen Blockieren im persönlichen Gespräch mit Leichtigkeit das gemeinsame Vorankommen.


Diskussion in Gruppen

Hier gelten viele Gedanken ähnlich wie für das persönliche Gespräch. Ein größeres Publikum lässt manche Menschen über sich hinauswachsen und ihre Beiträge besonders genau überprüfen bevor sie sie äußern. Aber Emotionen und Gefühle von Anerkennung oder deren Abwesenheit, Verletzbarkeit Entwertung können sich in einer größeren Gruppe verstärken. Es ist deswegen noch mehr Vertrauen für Diskussionen in der Gruppe notwendig.


Formalisierte Wortbeiträge

Der formalisierte Austausch in einzelnen abgetrennten Beiträgen, wie zum Beispiel in Interviews, auf Podiumdiskussionen oder gegenüber der Presse hat andere Vor- und Nachteile. Hier ist es möglich in einem Blitzlicht, eine Position ungestört darzustellen, in Ruhe auf einen bekannten Einwand einzugehen oder neue Gedankenstränge in die Diskussion einzubringen, ohne dass dies durch Unterbrechungen oder destruktives Verhalten erschwert wird. Diese Art der Diskursführung setzt ein gewisses Maß an rhetorischer Gewandtheit voraus. Es ermöglicht die klare Darstellung von komplexen Gedankengängen und kann zur Eindämmung destruktiver Gefühle und Haltungen führen. Auf der anderen Seite besteht zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen des Diskurses eine größere Distanz und die ebenfalls wichtigen emotionalen Inhalte können leicht hinter einer Pseudosachlichkeit verschwinden. Eine Eigenschaft, die sowohl Vor- als auch Nachteil sein kann, ist, dass ein größeres Publikum vor allem für persönlich relevante und emotional aufgeladene Äußerungen einen gewissen Mut voraussetzt.


Veröffentlichung komplexer Gedanken

Damit meine ich die Beiträge zu Diskursen, die in Form von Büchern, Artikeln oder offiziellen Dokumenten geleistet werden. Der offensichtliche Vorteil ist, dass Autorinnen und Autoren solcher Beiträge ausreichend Zeit und Musse haben, verschiedene Aspekte ihrer Gedanken zu beleuchten und gegebenenfalls auf mögliche Widersprüche einzugehen. Das kann uns einladen, in die Gedankenwelt der VerfasserIn einzutauchen, was sehr förderlich für das gegenseitige Verständnis sein kann. Diese ist die am leichtesten dokumentier- und archivierbare Methode. Oft kann es hilfreich sein, eine Äußerung mehrmals (und gegebenenfalls gemeinsam) zu studieren, was hier möglich ist. Der Nachteil ist die vollständige Entkopplung vom persönlichen Kontakt, was die Authentizität negativ beeinflussen kann. Für ungeübte LeserInnen, besteht des weiteren die Gefahr, Argumente für schlüssig und gut zu halten, weil sie im Gesamtzusammenhang stehen, ohne wichtige Gegenargumente zu erwähnen oder diese sogar entwertet. Dieser Aspekt lässt sich aber durch Übung gut lindern. Außerdem helfen gegen diesen Effekt auch die genaue Prüfung der Quelle.


Wahlen und andere Sortierungen.

Diskurse können auch geführt werden, indem sich Menschen bestimmten Meinungsträgern zuordnen oder anschließen, ohne direkt eigene Beiträge zu leisten. Der Vorteil dabei ist, dass hier auch die von uns teilnehmen können, die kein profundes Wissen oder keine unmittelbare Betroffenheit mit dem Diskurs-Thema haben. Der Nachteil ist offensichtlich der, dass wir Gefahr laufen, unsere Stimme leichtfertig anderen Menschen geben, die vielleicht nur oberflächlich glaubwürdig sind oder die mir unbekannte Absichten verfolgen. Insgesamt ist es jedoch gut, dass es diese Methode auch gibt, denn keiner von uns kann sich mit allen wichtigen Fragen gleich gut auskennen.


In all dem ist es erfahrungsgemäß leicht, sein Gegenüber als Gegner zu empfinden, sich verletzt zu fühlen. Oft reagieren wir dann auf unausgesprochenes oder unbemerktes. Das sollte uns aber nicht abhalten an Diskursen teilzunehmen, denn wir sind alle Menschen und so funktionieren wir. Diskurse sind aber in unserer Gesellschaft der Keim aus dem die Zukunft entstehen. Jede Idee, jede Änderung, jedes Gesetz und jede Möglichkeit beginnt mit einem Diskurs, in dem wir uns langsam gegenseitig versichern, wer was brauchst, was kann und was erträgt. Im idealen Fall ist das Ergebnis dann häufig eine Sammlung von (neuen) Überlegungen und Kompromissen. Diese machen Entwicklungen möglich, ohne die Grenzen derer zu überschreiten, die diese Entwicklungen noch nicht gehen möchten. Gleichzeit werden diejenigen, die Veränderungen wünschen nicht daran gehindert, einen Weg dorthin zu gehen.


Meine Empfehlung ist, die eigenen Vorzüge des Diskurses kennen zu lernen und auszubauen. Damit lässt sich viel Frustration vermeiden, weil es davor schützt am falschen Ende zu bauen und immer wieder Erwartungen (eigene und die von anderen) zu enttäuschen.


Diskurs ist aus meiner Sicht also nichts, was Angst machen muss, wenngleich es manchmal nicht einfach ist, die beste Version von sich selbst zu bleiben oder andere auszuhalten, die das gerade nicht sind. Aber Diskurse sind der Keim aller Entwicklung und deshalb unser bester Freund in einer sich ändernden Welt in der gerade derzeit viele Menschen ihre Unzufriedenheit stark spüren und ausdrücken. Schmeißen wir uns ins Getümmel, erheben unsere Stimme selbstbewusst und verzagen nicht, wenn sie nicht immer gehört wird - das geht den anderen auch so.

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